Martin Nauer kam 1918 in Goldau als Kind sehr musikalischer Eltern zur Welt. Als fünfjähriger „Büäbl“ wusste er auf dem Örgeli schon Tänze vorzutragen. Damals ahnten seine Eltern noch nichts von Nauers absolutem Musikgehör. Die Familie Nauer besass ein Eichhorn-Örgeli, das Martin mit seinen zwei Brüdern teilen musste. Diese hatten ebenfalls den Eifer, dieses Instrument zu erlernen. Martin brachte sich nach kurzer Zeit viele Tänze bei, die er nur nach Gehör erlernte. 1934 trat er als sechzehnjähriger mit seinem Bruder Franz im Restaurant Seehof in Seewen erstmals öffentlich auf.
Nauer wurde durch das zufällige Mithören einer Schellackplatte der „Berglerkapelle Oberschönenbuch“ (Josef Stump / Balz Schmidig) auf deren Musik aufmerksam. Stump und Schmidig wirkten in der Jugendzeit von Martin Nauer und diese haben durch ihr grosses Können auf dem Örgeli einen eigenen, speziellen Stil entwickelt, der manchmal an die Musik der alten Chilbiorgeln erinnert. Mit 24 Jahren konnte Nauer mit Balz Schmidig Kontakt knüpfen und ihn dazu überreden, ihm ein paar Tänze zu zeigen. Balz war über die schnelle Auffassungsgabe und das unglaubliche Gehör Nauers erstaunt und so hatte Martin Nauer innert kurzer Zeit die Tänze in sich aufgenommen. Dadurch wurde Martin zum Spielpartner von Balz Schmidig und Mitte der vierziger Jahre entstanden die ersten Schellackplatten-Aufnahmen von Martin Nauer und Balz Schmidig. In den sechziger Jahren bespielte Martin Nauer mit Kari Nauer und Franz Gisler als Bassist einige Tänze auf Single-Platten. Dem bescheidenen Martin Nauer war es jedoch nie wohl bei Tonaufnahmen und auf dem Gygenbank. Er zeigte sein grosses Können lieber im kleinen Kreis oder in seiner kleinen Werkstatt im Tschalun im Schwyz. Hans Gwerder aus Arth begleitete ihn dennoch oft auf dem Örgeli.
Nach seiner obligatorischen Schulzeit arbeitete Nauer anfänglich als Knecht und Bauarbeiter. In seiner Freizeit reparierte er die ersten Schwyzerörgeli. Dadurch wurde er autodidaktisch zum Schwyzerörgeli-Revidierer. Mitunter durch sein absolutes Gehör wurde er zum gefragtesten Örgeli-Stimmer während Jahrzehnten. Diese Tätigkeit führte er seit 1943 während 43 Jahren in Schwyz aus und sie brachte ihm den Übernamen „Dr Örgelidokter“ ein. Auch im Pensionsalter blieb diese Arbeit „Märtls“ liebstes Hobby.
Der bescheidene und zurückhaltende Musiker spielte Melodien von Josef Stump, Balz Schmidig, Ernst Inglin, Kasimir Geisser, Dominik Märchy, Franz-Anton Inderbitzin (Gygler Louis) u.a. Weiter hatte er die Fähigkeit, Blasmusikmärsche mit vielen Harmoniewechseln vorzutragen. Er war ein Bewunderer des Lachener Örgelers Ernst Inglin und er hatte eine Leidenschaft für die Musik Wolfgang Amadeus Mozarts, die er stets ab aufgenommenen Bandaufnahmen anhörte. Der genügsame Martin hatte nie ein Konzert besucht, konnte aber durch sein unglaubliches Gehör jede Stelle und jeden Einsatz eines Instrumentes, sowie jeden Harmoniewechsel während eines Konzertes zitieren.
„Dr Örgelidokter“ gilt heute als einer der begabtesten Örgeler seiner Zeit und Überlieferer der Musik von Balz Schmidig, Franz-Anton Inderbitzin (Gygler Louis) und teils von Josef Stump. Mit viel Geduld gab Nauer seine Musik an interessierte Örgeler weiter. Alois Lüönd (Mosi Wysel), Seebi Schmidig u.a. genossen Unterricht beim „Nauer Märtl“ und traten hin und wieder mit ihm öffentlich auf. 1977 hat Martin Nauer mit Alois Lüönd und Ueli Mooser weitere vier Tänze auf Schallplatte veröffentlicht. Neben wenigen anderen Aufnahmen sind durch Cyrill Schläpfer 1995 u.a. auch für den Film „Ur-Musig“ die letzten Tonaufnahmen mit Seebi Schmidig und Ueli Mooser erschienen. Sie sind mehrheitlich in seiner kleinen „Reparatur-Boutique“ in Schwyz entstanden. Ohne Martin Nauer wäre die oben genannte Musik wahrscheinlich in Vergessenheit geraten. Seine Schüler pflegen heute diesen Stil in ihren eigenen Formationen und geben ihn an junge Talente weiter.
Nauers Sohn Martin jun. gilt heute in der Ländlerszene als einer der begabtesten konzertanten Akkordeonisten, der mit Carlo Brunner seit vielen Jahren sehr erfolgreich die Volksmusikszene belebt. Nauers Enkel Armin Heinzer begann mit 13 Jahren „em Grossdädi sini Musig“ zu erlernen und durch sein grosses Talent ist ihm dies sehr gut gelungen. Wenn man ihn spielen hört, könnte man den Eindruck haben, „dass dr Märtl sälber orgeled…“
Martin Nauer sen. verstarb am 2. September 2007 im Alter von 89 Jahren in Schwyz und hat uns eine wunderbare Musik hinterlassen.
Youtube: Martin Nauer mit Albert Marty